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Thessaloniki: Dokumentarfilmfestival 2014 – Film und Realität

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Alle Wege führen nach…

Filmemacher folgen Trompetenklängen von New York bis Guca (Serbien); Soap-Bilder von starken Frauen wandern von Istanbul nach Kairo und nach Sofia; die Stimmen von Gezi Park erhallen in Milan und jüdische Geschichten aus Tel Aviv werden in Kalush (Ukraine) wieder entdeckt…….während die vermeintlich „letzten Signale der Demokratie“ auch ohne staatliche Unterstützung in Griechenland weiter ihr Radio- und Fernsehprogramm senden. Wiederum andere schlagen kulturelle Brücken zwischen Berlin und Athen.

….Thessaloniki zwischen Film, Realität und Festival

vlcsnap-2014-03-26-12h18m29s195 (2) (1280x720)All diese Filmgeschichten treffen sich in Thessaloniki und verbinden sich scheinbar nahtlos mit dem Treiben der Stadt und des Festivals. Zwischen Kinosesseln wandern Blicke hinaus auf das Meer und zurück auf die Leinwand. Die Stadt ist für die Filme des Festivals wie eine weitere Station ihrer sehnsuchtsvollen Reise durch die Geschichten und Gesichter der Welt. Grenze verschwinden und Gemeinsamkeiten tauchen auf. In den 10 Tagen vermischen sich Filmrealität, Macher, Zuschauer und Protagonisten auf wundersame Weise mit dem magischen Mikrokosmos zwischen dem geduldigen Aristoteles und den Frappebechern auf der Kante zumWasser.

Wie das? Zeichnen wir ein paar Linien…:

Von New York nach Guca nach Thessaloniki: 

vlcsnap-2014-03-26-12h13m52s251 (2) (1280x720)Für die Regisseure des Meerkat Media Collective aus New York, hat die Reise nach Thessaloniki drastisch den Lauf der Dinge verändert: In ihrem Film begleiteten sie eine amerikanische Brassband zum berühmten Festival in Guca, obwohl diese, mehr als die Musik, rein nichts mit Serbien zu tun haben. Während in den USA oftmals, so in einem Interview, niemand diese Musik kennt, treffen sie hier auf Kenner, die noch während des Films den Musikern applaudieren und anfangen zu tanzen! Diese hören genau den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Trompetenspieler. Vor dem Kino treffen die Filmemacher auf zahlreiche Straßenmusiker: Balkanfilm trifft auf Balkansounds, die Leinwand bekommt Konkurrenz: Das ist  Brassland  „for real“.  (USA, 2013)

Und von Tel Aviv nach Kalush nach Thessaloniki: 

vlcsnap-2014-03-21-11h03m10s217 (2) (1280x720)Bernard Dichek aus Tel Aviv teilt nicht nur den Blick aufs Mittelmeer mit den Bewohnern Thessalonikis. In seinem Film The Kalusz I though I knew (Israel -Ukraine 2013) suchte er in der Ukraine nach der Gegenwart der Geschichten seines jüdischen Vaters, der aus Kalusz sowohl fliehen musste, als auch dort gerettet wurde. In einer sehr intensiven QA-Session nach dem Screening des Films, berichtete das Publikum dem Regisseur die jüdische Geschichte Thessalonikis. Dort im Film,wie hier und vielen Orten, gehört diese zu einer zwar sichtbaren, aber nicht immer ausgesprochenen Geschichte der Stadt, die sich mit den Schichten und Widersprüchen der Nachkriegszeit vermischt hat. „We fought wars, but we have lived here also peacefully in a multicultural and multi-ethnical society, in friendship with each other, that we want to recover and remember!“, betont ein vom Film sichtlich berührter Zuschauer.

Und von Istanbul nach Kairo nach Sofia nach Thessaloniki:

Kismet 05

Dieses oben angesprochene Bedürfnis spiegelt sich auch in Kismet (Zypern-Griechenland, 2013; Videostill links) wieder. In ihrem Film verfolgt die Journalistin Nina Maria Paschalidou den Einfluss türkischer Seifenoper auf die Frauen des Balkans und des Mittleren Osten. Serien, in denen starke Protagonistinnen Tabuthemen ansprechen und einen Weg in die Selbstbestimmtheit demonstrieren. Der rasante Boom der Serie spiegelt sich direkt im Publikum und ermutigt Frauen für ihre Rechte zu kämpfen und ihr Leben zu verändern. Da sind mindestens zwei Seiten des Meeres, die nicht nur andere Religionen haben, sondern auch verschiedene Geschichten der Emanzipation. Der Film aber spricht nicht das an, was diese Orte unterscheidet, sondern was sie verbindet. Und thematisiert dabei auch die Beziehungen zwischen Türkei, Bulgarien und Griechenland. Während im Balkan die „Befreiung“ von den Türken gefeiert wird – so hier nur wenige Tage nach dem Festival (25.März) – zeigt uns Kismet Menschen,die den historischen und politischen Grenzen trotzen und miteinander verbunden bleiben, in Sachen Liebe und Familie, Kultur und Freundschaft. vlcsnap-2014-03-26-12h30m31s1 (2) (1280x720)Die politischen Gemeinsamkeiten in der heutigen Zeit werden schließlich deutlich in dem vom Festival prämierten Film Capulcu:Voices from Gezi (Italien-Türkei 2013), in dem die 5 Regisseure: B. Argentieri, C. Casazza, C. Prevosti, D. Servi, S. Zoja sich mit den Stimmen des Taksim Square solidarisieren und sie nach Italien wie Griechenland bringen.

ONEIRA

So bringt der Film Dreaming of Democracy (Griechenland 2013; Videostill links) des iranischen Regisseurs Morzeta Jafari das Gestrandetsein in Thessaloniki direkt zur Sprache, in dem er eine Gruppe iranischer Männer porträtiert. Er kommentiert ihre Versuche zu fliehen, sowie in der Stadt zu bleiben. Die Notwendigkeit die Identität in Form von Bleichcreme und Reisepässen zu vertuschen, sowie der Wunsch nach einem selbstbestimmten Glauben leben zu können. Für den einen nur möglich in Thessaloniki, für den anderen nur fern davon:

Von Iran nach Thessaloniki nach Zypern und zurück nach Thessaloniki:

BORDERSEin paar Tage später, am Samstag, treffen wir den Regisseur mit seiner Kamera auf der Anti-Fa Demonstration in Thessaloniki. Nicht das Meer, die Menschen selbst setzen Grenzen. An diesem Tag protestieren alle gegen diese zu Recht. Der Film Evaropating Borders (USA-Zypern, 2014; Videostill links) von Iva Radivojevic, die jugoslaiwsche Wurzeln hat und in Zypern und New York aufgewachsen ist, erzählt genau von diesen Grenzen. Warum eigentlich ist es uns so wichtig, diese nationale Identität zu bewahren? – Fragt sie, wenn Multikulturalität und Verschiedenheit, wie auf Zypern, zu Rassismus und Hass ausarten. Im Kino wie auf der Straße ist diese Woche diesem Thema ein klares Zeichen gesetzt. vlcsnap-2014-03-26-12h31m33s110 (2) (1280x720)

Nicht zuletzt, vermischen sich die filmischen wie ‚echten‘ Proteste und Aufrufe zu Toleranz und Solidarität mit denen der ‚ehemaligen‘ Mitarbeiter von ERT. The Lost Signal of Democracy (Griechenland 2013) von Yorgos Avgeropoulos erzählt vom Unicum der Geschichte staatlicher Rundfunkanstalten, dem Cut Off des Senders letztes Jahr.vlcsnap-2014-03-26-12h19m45s198 (2) (1280x720)

Wo die Demonstration vor dem ehemaligen, jetzt besetzen Gebäude der staatlichen Rundfunk und Fernseh-Sende-Station in Thessaloniki endet, kommen die Banner auf griechisch und arabisch, sowie die Aufrufe für Pressfreiheit und  dort leben zu dürfen, wo man will, zu einem Konzert zusammen. vlcsnap-2014-03-26-12h31m59s113Das ist auch der letzte Tag des Festivals. Seine Filme und Macher kehren zurück:

Von der Leinwand in die Realität, von den Sesseln auf den Boulevard:

Und mischen sich in die Straßen Salonikis. In der Abschlussrede betonte die Journalistin Maya Tsokli,  „(The films) allowed us, the audience, to partake in events and conditions from the real world that we would have never experienced, but which are now part of the ‚drawer‘ of our personal experiences and memories.“ Wie die Geschichten Teil ihrer Zuschauer, so sind auch die Filme auf besondere Weise in diesen Tagen ein Teil der Stadt geworden. Ihre Kreativität sowie ihre Geschichten von dem Bedürfnis nach multikulturellen und toleranten Gesellschaft auf die Straßen, ins Meer und von dort wieder zurück in den Kinosaal geschwappt.

Der Film zum Theaterstück Shoud I stay or Shoud I go (Deutschlan-Griechenland, 2013),  der aus Thessaloniki stammenden Regisseure Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris, dokumentiert von Menelaos Karamagjiolos, zeigt, wie es möglich sein kann, zwischen Realität und Theater, Spiel im Film und Spiel im Leben, aber vor allen Dingen in der Gegenwart zwischen den Orten und sie verbindend zu leben und zu arbeiten. vlcsnap-2014-03-26-12h21m33s3 (2) (1280x720)

Man muss sich vielleicht nicht unbedingt entscheiden, zu bleiben oder zu gehen. Oder: Zu protestieren oder bloß zu machen was man liebt. Zwischen Berlin und Thessaloniki, Athen und Tel Aviv oder Istanbul und Sofia, New York und Zypern, undsoweiter undsoweiter…

Autorin: Elena Friedrich

Dieser Artikel ist im Kontext des Forschungs-und Filmprojektes der Autorin entstanden, „Mapping the Now Here“.

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